07.10.2013

kapitalistischer Zombie

Interview mit Michael Hardt, lehrender Philosoph und bekennender Marxist an der Duke University USA

Sie schreiben, dass der Geist der Revolte wie eine Fackel von Tunesien nach Ägypten und von dort nach Europa und in die USA gereicht worden sei. In Tunesien und Ägypten regieren heute Islamisten und Militärs, Spanien und Griechenland haben weiterhin große wirtschaftliche Probleme, und der Zucotti Park in New York ist nur och ein leerer Platz nahe der Wall Street. Man könnte sagen: Überall, wo die Fackel brannte, blieb nur Asche zurück.
Gute Metapher, aber lassen Sie uns eine andere probieren: 1851 blicke Karl Marx auf ein halbes Jahrhundert revolutionärer Aufbrüche in Frankreich zurück. Er sah lauter vertane Chancen: Die  Revolution von 1789 endete mit Napoleon, so schlimm ist es heute nicht mal in Tunesien. 1830 scheiterte die Junirevolution, 1848 die Februarrevolution . Marx war nicht frustriert, sondern beschrieb den  revolutionären Prozess als einen Maulwurf. Alle paar Jahre steckt er seinen Kopf aus dem Boden. Doch wenn ihn nicht sieht, ist er nicht weg: Unter der Erde gräbt er sich vorwärts und taucht an immer neuen Stellen auf.
Dennoch: Trotz aller Empörung gibt es keine Mehrheit gegen den Kapitalismus. Warum ist er nicht totzukriegen?
Ich halte ihn eher für untot, wie ein Zombie: Der Kapitalismus ist intellektuell erledigt, aber er läuft noch durch die Gegend und richtet Schaden an. Wir wissen um seine Unzulänglichkeiten, sind aber unfähig, uns etwas Besseres vorzustellen. Fredric Jameson schrieb, es falle uns heute leichter, uns das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende unseres Wirtschaftssystems. Da ist was dran.
Was ist eigentlich das Ziel für Sie, eine Welt ganz ohne Privateigentum? 
Nein, das wäre vielleicht ein Mittel, aber kein Ziel. Das Ziel einer revolutionären Veränderung ist eine Gesellschaft, die uns allen besser ermöglicht, unsere Potenziale zu entfalten. Für viele Menschen besteht heute keine Möglichkeit, zu tun, wozu sie in der Lage wären. Seiner Fähigkeiten beraubt zu sein ist brutal und betrifft oft junge Leute, für die es keine Arbeit und keine Mitbestimmung gibt.

Interview: Oskar Piegsa
Die Zeit: Campus, Ausgabe Nr 4 2013

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