30.03.2013

Alberne Wohlstandswehwehchen


Thomas Stern hatte in seiner Jugend passabel Klavier gespielt. Und wenn er auch nie mit dem nötigen Talent gesegnet gewesen war, eine musikalische Karriere einzuschlagen, plagte ihn doch das schlechte Gewissen, längst alles, was er einst gelernt hatte, vergessen zu haben. Irgendwann war in ihm die Entscheidung für ein sicheres Leben in Wohlstand gereift. Das ging schon in Ordnung, an ihm war, wie gesagt, kein zweiter Mozart verlorengegangen, weiß Gott nicht. Und wiewohl er für Höheres im Leben - Musik, Kunst, Literatur - eine sensible Antenne besaß, so schätzte er doch auch die Vorteile, die ihm jene sehr bewußt getroffene Grundentscheidung zugeschanzt hatte, als da waren: wenig Langeweile durch enorm viel Arbeit, ein hübsch gelegenes, geräumiges Häuschen, eine liebreizende Frau ohne Kinderwunsch, die auch sonst kaum Zicken machte, eine sportliche, hinreißende Geliebte, die nicht übertrieben kostspielig war, dazu sieben Wochen Urlaub im Jahr. Was konnte ein durchschnittlich begabter Mann schon mehr verlangen von diesem relativ kurzen Leben? Gut, sicher, er würde der Menschheit keine Geschenke hinterlassen, würde unbesungen begraben und binnen dreier Generationen vergessen werden. Aber geschadet hatte er doch auch niemanden. Insgesamt glaubte er, beruflich den Weg des geringsten Widerstands gegangen zu sein und seine Grenzen nicht genügend ausgelotet zu haben. Alberne Wohlstandswehwehchen.

Sarah liebte es, während der Kampfhandlungen getroffen zu werden. Nicht, daß sie keinen sportlichen Ehrgeiz besaß, nein, es verschaffte ihr Befriedigung jemanden abzuschießen. Aber sie war auch eine prima Verliererin, und der Moment, wenn eine Farbkugel auf ihrem Trainingsanzug platzte und sie, getroffen, das Spielfeld auf ihrem Spielfeld verlassen mußte, besaß etwas existenziell Erregendes. Sie lernte sich neu kennen und hegte bald den Verdacht, masochistische Spielarten des Sex zugänglicher zu sein, als sie es je für möglich gehalten hatte. Thomas hatte jedesmal um Erlaubnis gefragt, bevor er, in grauer Vorzeit, in sie eingedrungen war. Und ihrer Erziehung gemäß war Sarah um jene Nachfrage stets dankbar gewesen; ihre Mutter hatte ihr eingeschärft , den Kerlen bloß nie die Macht zu überlassen. Jetzt, mit vierzig, dachte Sarah darüber nach, ob ihre Mutter ihre Ehe von Anfang an sabotiert haben könnte, mit einem einzigen gutgemeinten Ratschlag. Während Sarah das Gewehr nachlud, dachte sie daran, wie es wäre vor einem Erschießungskommmando zu stehen., an einen Pfahl gefesselt - und überall auf ihrem Körper zerplatzten bunte Farbkugeln. Das war schon abartig, fand sie, und beschloß, niemanden davon zu erzählen. 

Einsamkeit und Sex und Mitleid - Helmut Krausser

21.03.2013

Scheiden

Noch einen Blick voll Liebessegen,
Noch einen Kuß, bevor wir gehn!
Als lichten Schatz auf dunkeln Wegen,
Als Zehrung bis zum Wiedersehn!

Ob wir auch enger uns umfassen,
Die Arme schlingen wie ein Band:
Es gilt zu scheiden und zu lassen,
Und nicht zu ketten Hand in Hand.

So wandle denn die Bahn der Schmerzen,
Die Liebe wird dein Engel sein;
Leb' wohl, leb wohl!
Reiff' Herz vom Herren!
Und weine nicht und denke mein!

Gott schütze dich auf deinen Wegen,
Daß ich dich fröhlich wiederseh'!
Noch einen Blick voll Liebessegen,
Noch einen Kuß, und nun Ade!

Ludwig Pfau
Karl Ludwig Pfau (* 25. August 1821 in Heilbronn; † 12. April 1894 in Stuttgart) war ein deutscher Schriftsteller, Journalist und Revolutionär. 1839 zog er nach Frankreich, wo er ab 1840 in Paris Kunst und Literatur studierte. 1841 kehrte er nach Deutschland zurück, begann ein Studium der Philosophie. Er wirkte bei der Märzrevolution mit und gehörte ab 1864 zu den Gründern der demokratischen Volkspartei DVP.

Gold, Gold, Gold


Sie dachten nur daran, daß siebenhunderttausend Pfund in Gold irgendwo unter dem Schatten dieses Baumriesen vergraben sein müßten. Die Gedanken an das Gold verdrängte den Schrecken, den das Skelett und die Geisterstimme geweckt hatten. Ihre Augen glühten, ihre Pulse pochten, ihr Atem ging rasch, die Füße vergaßen alle Müdigkeit. Ihr ganzes Innere war erfüllt von dem einzigen Gedanken: Gold, Gold, Gold wollten sie haben, sogleich auf der Stelle, um damit zu leben, wie der reiche Mann im Evangelium, "alle Tage herrlich und in Freuden."

Silver hinkte grollend auf seiner Krücke hinter den andern her. Die Hitze belästigte ihn und die Fliegen machten ihm das Lebens sauer. Vergeblich schlug er nach ihnen, wenn sie sich ihm saugend und stechend ins Gesicht setzten. Dann riß er wütend an der Leine, mit der er mich immer noch wie einen Hund leitete, und von Zeit zu Zeit sah er mich mit einem wahren Mörderblick an. Er gab sich also nicht die geringste Mühe, seine Gedanken zu verbergen und ich las sie ihm vom Gesicht ab, als wären sie mit großen Buchstaben hineingeschrieben. Die unmittelbare Nähe des Goldschatzes ließ ihn alles vergessen, seine großen Versprechungen und die Warnungen des Doktors vergingen wie Spreu im Winde und ich durfte nicht daran zweifeln, daß er nach der Besitznahme des Goldschatzes auch die Hispaniola ausfindig machen würde. Ihm war zuzutrauen, daß er, unter dem Schutze der Nacht, allen rechtschaffenen Menschen auf der Insel die Gurgel abschnitt und dann beladen mit Gold und Verbrechen das offene Meer erreichte. Solche Gedanken erschütterten mich gewaltig, so daß ich Mühe hatte, mit den voranstürmenden Schatzgräbern Schritt zu halten. Manchmal stolperte ich und fiel, dann riß Silver heftiger an der Leine und blickte mich bitterböse an. Mir graute es vor diesen Mörderaugen. 

"Die Schatzinsel" von Robert Louis Stevenson

19.03.2013

Warum Sozialismus?

Die Produktion ist für den Profit da - nicht für den Bedarf. Es gibt keine Vorsorge dafür, daß all jene, die fähig und bereit sind, zu arbeiten, immer Arbeit finden können. Es gibt fast immer ein "Heer von Arbeitslosen". Der Arbeiter lebt dauernd in der Angst, seinen Job zu verlieren. Da arbeitslose und schlecht bezahlte Arbeiter keinen profitablen Markt darstellen, ist die Warenproduktion beschränkt und große Not ist die Folge. Technologischer Fortschritt führt häufig zu mehr Arbeitslosigkeit statt zu einem Milderung der Last der Arbeit für alle. Das Gewinnmotiv ist in Verbindung mit der Konkurrenz zwischen den Kapitalisten für Instabilität in der Akkumulation und Verwendung des Kapitals verantwortlich und dies bedeutet zunehmende Depressionen. Unbegrenzte Konkurrenz führt zu einer riesigen Verschwendung von Arbeit und zu dieser Lähmung des sozialen Bewußtseins von Individuen, die ich zuvor erwähnt habe.


Diese Lähmung der Einzelnen halte ich für das größte Übel des Kapitalismus. Unser ganzes Bildungssystem leidet darunter. Dem Studenten wird ein übertriebenes Konkurrenzstreben eingetrichtert und er wird dazu ausgebildet, raffgierigen Erfolg als Vorbereitung für seine zukünftige Karriere anzusehen.

Ich bin davon überzeugt, daß es nur einen Weg gibt, dieses Übel loszuwerden, nämlich den, ein sozialistisches Wirtschaftssystem zu etablieren, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialen Zielsetzungen orientiert. In solch einer Wirtschaft gehören die Produktionsmittel der Gesellschaft selbst und ihr Gebrauch wird geplant. Eine Planwirtschaft, die die Produktion auf den Bedarf der Gemeinschaft einstellt, würde die durchzuführende Arbeit unter all denjenigen verteilen, die in der Lage sind zu arbeiten und sie würde jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind einen Lebensunterhalt garantieren. Die Bildung hätte zum Ziel, daß die Individuen zusätzlich zur Förderung ihrer eigenen angeborenen Fähigkeiten einen Verantwortungssinn für die Mitmenschen entwickeln anstelle der Verherrlichung von Macht und Erfolg in unserer gegenwärtigen Gesellschaft.

"Warum Sozialismus?" (1949) von Albert Einstein

18.03.2013

Ich liebte Dich

Ich liebte Dich: vielleicht ist dieses Feuer
In meinem Herzen noch nicht ganz verglüht;
Doch Deine Ruh ist mir vor Allem theuer,
Durch nichts betrüben will ich Dein Gemüth.

Ich liebte Dich, stumm, hoffnungslos und schwerlich,
In aller Qual, die solche Liebe giebt —
Ich liebte Dich so wahrhaft und so herzlich,
Gott geb', daß Dich ein Andrer je so liebt!

Alexander Puschkin
Aus dem Russischen von Friedrich Martin Bodenstedt
Alexander Sergejewitsch Puschkin (* 26. in Moskau; † 29. Januar in Sankt Petersburg durch einen Bauchschuss) gilt als russischer Nationaldichter und Begründer der modernen russischen Literatur. Bis zum Einmarsch Napoleons in Moskau 1812 sprach die russische Oberschicht Französisch. Nach dem darauf folgenden Brand Moskaus fragte man sich, warum man eigentlich die Sprache des Feindes spreche. Puschkin bereitete in seinen Gedichten, Dramen und Erzählungen der Verwendung der Umgangssprache den Weg.

17.03.2013

über reden und sehen

Männergehirne sind stark in einzelne Bereiche unterteilt und können Informationen trennen und speichern. Am Ende eines problemreichen Tages kann ein Männergehirn die ganzen Probleme einfach in Schubladen ablegen. Das weibliche Gehirn dagegen kann Informationen nicht in der gleichen Weise ablegen - die Probleme spuken einer Frau unweigerlich weiter im Kopf herum.
Männer können ihre Probleme in einen mentalen "Index" aufnehmen und in eine Warteschleife stellen. Die Probleme von Frauen hingegen laufen in ihrem Kopf Amok. Die einzige Art und Weise, wie eine Frau ihre Probleme loswerden kann, ist, sie zur Kenntnis zu nehmen, indem sie darüber redet. Wenn eine Frau also am Ende eines Tages redet, sucht sie keine Lösungen und will auch keine Schlüsse ziehen, sie will sich einfach nur ihre Probleme von der Seele reden.[...]

Mann: Wo ist die Butter?
Frau: Im Kühlschrank.
Mann: Da schaue ich ja gerade, aber ich kann keine Butter sehen.
Frau: Sie ist aber da. Ich hab sie erst vor zehn Minuten in den Kühlschrank gestellt.
Mann: Nein, du musst sie irgendwo anders hingetan haben. In diesem Kühlschrank jedenfalls ist keine Butter!

Als Jäger musste der Mann in der Lage sein, eine Beute in der Ferne anzuvisieren und sie dann zu verfolgen. Er entwickelte beinahe so etwas wie Scheuklappen, damit er nicht von einem Ziel abgelenkt wurde. Die Frau benötigte ein weites Blickfeld, damit sie mögliche Raubtiere. die um ihr Nest herumstrichen, erspähen und beobachten konnte. Das ist der Grund, warum der moderne Mann problemlos den Weg zu einer entlegenen Kneipe findet, selten aber Sachen in Schränken, Schubladen und Kühlschränken.

Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken - Allan & Barbara Pease

15.03.2013

Ging Dir nach im Wind

Ging Dir nach im Wind, Deine Haare flogen,
Wolken kamen wild, als ob sie die Berge zogen.

Und auf unserem stürmischen Abendgange,
Lehnte sich der Wind unter Deinem Schleier, dicht an Deine Wange,
Preßte Deine Kleider um die Knie, wollt' Dich halten
Wie ein Freier, dessen Hände sich um Deinen Körper falten.
Wie ein Tänzer wirbelt, wollt' er Dich entzücken,

Aber Du - lachst ihn aus, wendest ihm den Rücken.
Und der Wind läuft nebenher, fährt Dir um die Schläfen,
Muß im Dunkel, wie ein Hund, abgewiesen kläffen.

Max Dauthendey
Max Dauthendey (* 25. Juli 1867 in Würzburg; † 29. August 1918 in Malang auf Java) war ein deutscher Dichter und Maler. Der Vater von Max Dauthendey, Karl Dauthendey, siedelte als deutscher Kolonist in St. Petersburg, drei Jahre vor der Geburt Max Dauthendeys zog die Familie Dauthendey nach Würzburg um. Dauthendey wuchs in Würzburg als Sohn wohlhabender Eltern auf und erlebte eine glückliche Kindheit, die durch den frühen Tod seiner Mutter Caroline Dauthendey 1873 getrübt wurde.

Erst wenn

Ein Teil von uns verabschiedet sich still und langsam von der Außenwelt ins Private, während andere als ewig Junggeblieben von Party zu Party tollen. Alkohol ist in großen wie in übergroßen Mengen der Freund von vielen. Benehmen und Etikette leiden dagegen unter Schwindsucht. Engagement oder gar eine eigene Meinung sind nicht unser Ding. Diese unbeteiligte Haltung ist vielleicht einfacher dafür aber umso schlechter für unser Image: Von der ZEIT wurden unsere Jahrgänge unlängst als Generation abgekanzelt, "die Gründe hat zu rebellieren, aber nicht will." Erst wenn wir erkannt haben, warum das so ist, können wir daran etwas ändern.
Einer der Hauptgründe, warum unsere Generation als doof wahrgenommen wird, liegt in unserer mangelhalften Bildung. Denn wir sind zum echten Rebellenturm schlecht ausgerüstet, obwohl wir etwas vom Nörgeln verstehen. Wer rebellieren will, wer sich engagieren und aktiv leben will, wer eine eigene Meinung vertritt, der muss Hintergründe kennen und Geschehnisse einordnen können. Doch nicht nur Schiller, Shakespeare and friends locken schon lange keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Lagerlöf halten wir für ein Regal beim schwedischen Möbelhaus und Nam June Paik für ein appetitliches Süppchen beim Koreaner um die Ecke. 

"Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten." Karl Kraus

"Generation Doof" von Stefan Bonner und Anne Weiss

Hi


Hi, ich bin das übellaunige, bohemienhafte Mitglied der Band. Blonder Frontmann. Vom Typ sensibler Künstler.

Ich mag: Pasta, Schildkröten, Mädchen mit komischen Augen, Schreiben, Lesen, meinen Mund halten, Kuchen verzieren, Reiten, Waffen reinigen, Sally-Struthers-Imitationen, Pina Coladas und vom Regen überrascht werden, Arschficken, Akupunktur, Malen, Freunde, Katzen, Ziegen, Mohair-Pullover, eine hübsche Armada von Hautunreinheiten in meinem Gesicht zu kultivieren, mir Schnitte beizubringen, mit meiner Band zu spielen, meine Frau und meine Familie und alle Leute, mit denen unsere Band zusammenarbeitet. Ich würde nur dann ein Batikhemd tragen, wenn es mit dem Blut von Gerry Garcia und dem Urin von Phil Collins hergestellt wurde. Hier sind ein paar Bands, die ich mag: [...]

"Tagebücher" - Kurt Cobain

13.03.2013

Liebesbriefwechsel

Liebste xxx,

meine freudige Erwartung, als ich bemerkte, dass eine Nachricht von ihnen für mich vorliegt, wich sogleich tiefer Bestürzung, als mir bewusst wurde, dass ihr Gemüt aufgrund meiner fortwährenden Abwesenheit negativ erregt zu sein schien. Ich möchte mein ehrliches Bedauern hierfür zum Ausdruck bringen und kann mich nur in sofern dafür Entschuldigen, indem ich ihnen die möglicherweise unbefriedigende Mitteilung machen muss, dass sich meine Nächte, dringlicher Geschäfte wegen, zur Zeit sehr verkürzen, was, wie sie in ihrer Nachricht so scharfsinnig bemerkten, auch mit der Tatsache zusammenhängt, dass es mit meiner Intelligenz nicht weiter hergeholt ist, als es mein Aussehen vermuten lässt. Um so mehr rührte es mein Herz und erfüllte es mich mit Stolz, dass sie meiner nicht Überdrüssig zu sein scheinen und mit soviel Nachsicht über meine Fehlfunktionen hinwegsehen. Im Weiteren seien sie sich gewiss, dass meine Empfindungen ihrer Person gegenüber noch so tief sind, dass ich ihre Verabschiedung als ihren sanften spott über meine eigenen Gefühle für sie empfinden musste, ohne jedoch ernsthaft gekränkt, sondern eher sehnsüchtig berührt zu sein. Glauben sie mir, wenn ich ihnen schreibe, dass meine Gedanken, nicht nur in nächtlichen Stunden, oft um sie und ihre Geschicke kreisen. Darum hoffe ich, dass sich in naher Zukunft die Gelegenheit ergibt, zumindest insofern übereinkommen zu können, dass wir unser gegenseitiges Interesse füreinander, bei einem Aufeinandertreffen an dieser Stelle, so weit wie möglich zu Stillen in der Lage sind. Bis dahin verweile ich schweren Herzens in dem Bewusstsein ihrer, zumindest temporären, Sehnsucht, für die ich mich unentschuldbar verantwortlich fühlen muss und baue sodenn, damit es mich nicht zu sehr betrübt, auf ihr sonstiges Wohlbefinden.


Liebste xxx, ich freue mich auf sie.

haar von dir

im kleiderschrank: ein haar von dir.
lecke dran. nein, war von mir.

doch lohnte sich die illusion,
ich pflücke immer mehr davon,
von meinem kopf - dort gibt es ja
nichts als haar, haar, haar, haar, haar.

und denke stets ein paar sekunden,
ich hätt' ein haar von dir gefunden.

so denk ich immer nur an dich,
und weine und skalpiere mich.

Autor unbekannt

12.03.2013

Sie will

Pan schleicht der Nymphe nach, aber Rosie sieht nur den Jungen, den zwölfjährigen, da ist er weiß Gott schon wieder, sie ärgert sich sehr. Die Felsentreppe herunter kommt er lautlos auf staubgrauen Füßen, jetzt ohne sein Hündchen, gesprungen.


Was willst du? sagt Rosie, geh heim, und will ihren Weg fortsetzen, der gerade jetzt ein Stück weit ganz ohne Geländer an der Felswand hinführt, drunten liegt der Abgrund und das Meer. Der Junge fängt gar nicht wieder an mit seinem Ecco il mare, ecco l'isola, aber er lässt sich auch nicht nach Hause schicken, er folgt ihr und gibt jetzt einen seltsamen, fast flehenden Laut von sich, der etwas Unmenschliches hat und der Rosie erschreckt. Was hat er, was will er? denkt sie, sie ist nicht von gestern, aber das kann doch wohl nicht sein, er ist höchstens zwölf Jahre alt, ein Kind. Es kann doch nicht sein, der Junge hat zuviel gehört von den älteren Freunden, den großen Brüdern, ein Gespräch ist da im Ort, ein ewiges halblautes Gespräch von dem fremden Mädchen, die so liebessüchtig und willfährig sind und die allein durch die Weingärten und die Ölwälder schweifen, kein Ehemann, kein Bruder zieht den Revolver, und das Zauberweort amore amore schon lockt ihre Tränen, ihre Küsse hervor. Herbstgespräche sind das, Wintergespräche, im kalten, traurigen Cafe oder am nassen, grauen, überaus einsamen Strand, Gespräche, bei denen die Glut des Sommers wieder entzündet wird. Warte nur, Kleiner, in zwei Jahren, in drei Jahren kommt auch für dich eine über den Marktplatz geht sie, du stehst am Fenster und sie lächelt dir zu., Dann lauf nur hinterher, Kleiner, genier dich nicht, pack sie, was sagst du, sie will nicht, aber sie tut doch nur so, sie will.

"Lange Schatten" - Marie Luise Kaschnitz