31.01.2013

Krambambuli

Wie er nun mit seiner Arbeit fertig ist, hängt er die Flinte wieder um und schlägt den kürzesten Weg ein, quer durch den Wald gegen die Kulturen in der Nähe des Lindenrondells. Im Augenblick, in dem er auf den Fusssteig treten will, der längs des Buchenzaunes läuft, ist ihm, als höre er etwas im Laube rascheln. Gleich darauf herrscht jedoch tiefe Stille, tiefe, anhaltende Stille. Fast hätte er gemeint, es sei nichts Bemerkenswertes gewesen, wenn nicht der Hund so merkwürdig dreingeschaut hätte. Der stand mit gesträubtem Haar, den Hals vorgestreckt, den Schwanz aufrecht, und glotzte eine Stelle des Zaunes an. Oho! dachte Hopp, wart, Kerl, wenn du's bist! Trat hinter einen Baum und spannte den Hahn seiner Flinte. Wie rasend pochte ihm das Herz, und der ohnehin kurze Atem wollte ihm völlig versagen, als jetzt plötzlich - Gottes Wunder! - durch den Zaun der «Gelbe» auf den Fusssteig trat. Zwei junge Hasen hingen an seiner Weidtasche, und auf seiner Schulter, am wohlbekannten Juchtenriemen, der Hinterlader des Oberförsters. Nun wär's eine Passion gewesen, den Racker niederzubrennen aus sicherem Hinterhalt.

Aber nicht einmal auf den schlechtesten Kerl schiesst der Jäger Hopp, ohne ihn angerufen zu haben. Mit einem Satze springt er hinter dem Baum hervor und auf den Fusssteig und schreit: «Gib dich, Vermaledeiter!» Und als der Wildschütz zur Antwort den Hinterlader von der Schulter reisst, gibt der Jäger Feuer... All ihr Heiligen - ein sauberes Feuer! Die Flinte knackst, anstatt zu knallen. Sie hat zu lang mit aufgesetzter Kapsel im feuchten Wald am Baum gelehnt - sie versagt.
Gute Nacht, so sieht das Sterben aus, denkt der Alte. Doch nein - er ist heil, sein Hut nur fliegt, von Schroten durchlöchert, ins Gras.
Der andre hat auch kein Glück; das war der letzte Schuss in seinem Gewehr, und zum nächsten zieht er eben erst die Patrone aus der Tasche...
«Pack an!» ruft Hopp seinem Hunde heiser zu: «Pack an!» Und:
«Herein, zu mir! Herein, Krambambuli!» lockt es drüben mit zärtlicher, liebevoller - ach, mit altbekannter Stimme...
Der Hund aber -
Was sich nun begab, begab sich viel rascher, als man es erzählen kann.

Krambambuli hatte seinen ersten Herrn erkannt und rannte auf ihn zu, bis - in die Mitte des Weges. Da pfeift Hopp, und der Hund macht kehrt, der «Gelbe» pfeift, und der Hund macht wieder kehrt und windet sich in Verzweiflung auf einem Fleck, in gleicher Distanz von dem Jäger wie von dem Wildschützen, zugleich hingerissen und gebannt...
Zuletzt hat das arme Tier den trostlos unnötigen Kampf aufgegeben und seinen Zweifeln ein Ende gemacht, aber nicht seiner Qual. Bellend, heulend, den Bauch am Boden, den Körper gespannt wie eine Sehne, den Kopf emporgehoben, als riefe es den Himmel zum Zeugen seines Seelenschmerzes an, kriecht es - seinem ersten Herrn zu.

Bei dem Anblick wird Hopp von Blutdurst gepackt. Mit zitternden Fingern hat er die neue Kapsel aufgesetzt - mit ruhiger Sicherheit legt er an. Auch der «Gelbe» hat den Lauf wieder auf ihn gerichtet. Diesmal gilt's! Das wissen die beiden, die einander auf dem Korn haben, und was auch in ihnen vorgehen möge, sie zielen so ruhig wie ein paar gemalte Schützen.
Zwei Schüsse fallen.

Krambambuli - Marie von Ebner-Eschenbach

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