01.03.2009

einfach nur heißen Tee

Als ich aufwachte, weinte sie still vor sich hin. Ihre schmalen Schultern zitterten unter der Decke. Ich zündete den Ofen an und sah auf die Uhr. Zwei Uhr früh. Mitten im Himmel hing ein volkommen weißer Mond.
Ich wartete, bis sie aufgehört hatte zu weinen, kochte Wasser und goss uns eine Tasse Beuteltee auf. Ohne Zucker, ohne Zitrone, ohne Milch, einfach nur heißen Tee. Ich zündete zwei Zigaretten an und gab ihr eine. Sie inhalierte tief und stieß den Rauch aus. Nach drei solchen Zügen musste sie husten.
"Hast du schon mal den Wunsch gehabt, mich umzubringen?", fragte sie.
"Dich?"
"Ja."
"Wieso fragst du?"
Sie rieb sich mit den Fingerspitzen die Augen, die Zigarette noch im Mund.
"Nur so."
"Nein, hab ich nicht.", sagte ich.
"Wirklich nicht?"
"Wirklich nicht. Warum sollte ich dich unbedingt umbringen wollen?"
"Auch wieder wahr", musste sie zugeben. "Ich dachte nur, wäre nicht schlecht, wenn mich jemand umbrächte. Wenn ich grad fest schlafe oder so."
"Ich bin doch nicht der Typ, der Leute umbringt!"
"Nicht?"
"Ich glaube nicht."
Sie lachte, drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus, trank in einem Zug den restlichen Tee und zündete sich eine neue Zigarette an.
"Ich lebe bis fünfundzwanzig", sagte sie. "Dann sterbe ich."

Sie starb im Juli 1978 mit sechsundzwanzig.

"Wilde Schafsjagd" von Haruki Murakami

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